Mittwoch, 24. Dezember 2008

1.-WK-Tagebuch von Albert Hofmann


V o r b e m e r k u n g


Der Originaltext der folgenden
„Aufzeichnungen während meiner Kriegsdienstzeit“ von Albert Hofmann aus Krofdorf befindet sich in einer Kladde aus liniierten Blättern. Das Heft wurde mir 1999 von einem Enkel des Autors zur Einsichtnahme, zur Abschrift und zu einer eventuellen Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Eine entsprechende Erlaubnis erhielt ich zudem von Frau Emmi Heinz, geb. Hofmann, der Tochter des Autors. Bei beiden Genannten liegen deshalb auch alle Rechte an dem Werk. In die Kladde eingeklebt sind zusätzliche Blätter mit Fotografien. Die eigentlichen Aufzeichnungen umfassen 72 Seiten und entstanden wahrscheinlich auf Grundlage von Notizen, die Herr Hofmann während seiner Militärzeit anfertigte, jedoch nicht mehr vorhanden sind. Im Anschluss an den Text finden sich die Namensliste der Kompanie des Autors, Verlustlisten seines Regiments und seiner Kompanie sowie seiner Kriegs- und Schulkameraden aus Krofdorf, außerdem Hand gezeichnete Karten seiner Aufenthaltsort und Routen seiner Verwundetentransporte, ein Inhaltsverzeichnis und ein von ihm verfasstes Gedicht „Flandern“. Zwei Hand gezeichnete Karten beschreiben die Orte, an denen zwei Onkel des Autors - Karl und Wilhelm Schieferstein, Brüder seiner Mutter - gefallen sind (hierzu gehören auch zwei ihnen gewidmete Gedichte).Bei der Abschrift der Aufzeichnungen wurde die Schreibweise des Autors weitestgehend beibehalten, allerdings nicht alle die von ihm penibel hinter Aufenthaltsorten genannten Uhrzeiten übernommen. Gewisse Schwierigkeiten bereiteten die Entzifferung einiger russischer Ortsnamen, flandrische Ortsnamen wurden der heutigen Schreibweise angepasst. Erklärende Ergänzungen erscheinen in Kursiv, nicht eindeutig lesbare Begriffe sind durch Einklammerung gekennzeichnet.

Z u r  P e r s o n  d e s  A u t o r s

Albert Hofmann (Foto rechts von 1917), geboren am 4. 9. 1895 in Krofdorf, gestorben am 19. 6. 1966, war das älteste Kind des Ehepaares Hermann Hofmann und Wilhelmine Schieferstein. Er wuchs im Haus Kinzenbacher Straße 18 auf.
Am 20. 1. 1923 heiratete er die aus Weidenhausen im Kreis Wetzlar stammende Christine Kolmer, mit der er zwei Kinder - Emmi und Erika - hatte. Ende der1920er Jahre bezog er mit seiner Familie das Haus Grüner Weg 2, das sein Onkel, der Bauunternehmer Adam Schieferstein, gebaut hat. Nach dem 2. Weltkrieg gehörte er einige Zeit für die SPD dem Gemeinderat an. Nach Mitteilung seiner Tochter Emmi Heinz, geb. Hofmann, begann er mit 9 Jahren „unter der Anleitung von Herrn Funk“ Geige zu spielen. Nach der Volksschule wurde er Schriftsetzer-Lehrling in der Druckerei Bender. Später verdiente er  seinen Lebensunterhalt bei seinem Onkel Adam Schieferstein. Außerdem machte er Musik. Nach Entlassung aus dem Kriegsdienst erhielt er eine Anstellung bei der Bahn, dies wahrscheinlich auch, weil er im Krieg telegrafieren gelernt hatte, also „morsen“ konnte. Seinen Dienst begann er als Schrankenwärter am Bahnübergang der „Lahntalbahn“ an der Altenberger Straße in Wetzlar, schaffte es aber über verschiedene Prüfungen  zum Reichsbahn-Sekretär. Während des 2. Weltkriegs leitete Hofmann die Güterabfertigung am Bahnhof Wetzlar und wurde dort bei einem Luftangriff durch Bombensplitter schwer verletzt. Überlebt hat er nach Darstellung seines Enkels Helmut Wallwaey, weil er unter einem Schreibtisch Schutz gefunden hatte, während andere Bedienstete ums Leben kamen.  

Nach Erinnerung seiner Tochter Emmi war Albert Hofmann „ein vielseitig, so an Musik, Geschichte und Geografie interessierter, aufgeschlossener und geselliger Mensch und überzeugter Sozialdemokrat". Bereits mit 15 Jahren war er Mitglied des Arbeiter-Sänger-Bundes, zwei Jahre später trat er dem Arbeiter-Turner Bund (Freie Turner) bei. Als 19-Jähriger wurde er Mitglied der freigewerkschaftlichen Arbeiterbewegung und mit 23 Jahren der SPD. Von Helmut Wallwaey war zu erfahren, dass er bis an sein Lebensende unter den Folgen von
(in seinen Aufzeichnungen auch beschriebenen) Verwundungen im 1. Weltkrieg und den Verletzungen des Wetzlarer Bombardements gelitten hat.
Siegfried Träger





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Aufzeichnungen während meiner Kriegsdienstzeit vom 5. 5. 1915 bis zum 27. 11. 1918

1915:
Am 7. Jan. 1915 wurde ich in Wetzlar zur Infanterie mit noch 4 Schulkameraden von ehemals ausgehoben und dann am 5. Mai 1915 zur 2. Komp. Ersatz-Batl. Inf. Regt 81 in Frankfurt a. M. eingezogen. Kaserne war die Festhalle. Verpflegung, in privaten Händen, ließ sehr zu wünschen übrig.
Am 11. August rückte ich dann nach 14wöchentlicher Ausbildung, damals nicht ganz 20 Jahre, aus: nach Rußland. Unser Transportzug fuhr an diesem Tage über Steinau, wo wir wegen einer Güterzugkarambolage bei Schloß Ziegenberg längeren Aufenthalt hatten. Um 24 Uhr waren wir in Bebra. Am 12. 8. fuhr der Zug über Weissenfels a. Saale, Taucha b. Leipzig und Guben. Am 13. 8. Fahrt über Posen, Gnesen, Thorn, Gosslershausen, wo der Transport eiserne Portion für 2 Tage erhält, Deutsch-Eylau, Osterode, Allenstein. Am Bahnhof Korschen sieht man dann die ersten Verwüstungen des Krieges: das von den eingefallenen Russen am 24. 8. 14 zerstörte Bahnhofsgebäude. Insterburg erreichen wir um 23.30. Am 14. 8. passierte dann der Zug die Grenze bei Eydtkuhnen-Wirballen. Um 5.20 Weiterfahrt und sind um 7.20 in Wilkowitschky. Dort warten wir auf näheren Befehl. Um 12.00 Abfahrt über Pilwitschky und kommen dann um 13.30 an der Endstation Koslowa-Ruda an. Seit unserer Abfahrt in Frankfurt a. M. waren 73 Stunden verflossen.
Nun begannen die Märsche. Um 15.30 marschierten wir ab und kamen in Koslowa-Ruda, welches völlig menschenleer war, um 16.30 an. Um 19.00 beginnen wir einen 35 km langen Marsch und kommen am 15. 8., dem ersten Sonntag in Feindesland, in einem Walde, wo das Ersatz-Rgt 8 in Stellung liegt, um 2.00 an. Um 8.00 sieht man den ersten russischen Flieger. Er verhält sich brav. Um 21.00 gehe ich den ersten Gang zum Schützengraben. Zwischen uns und den Russen fließt im Walde ein munteres Bächlein. Der Russe liegt 60 m von uns entfernt. Nachts starkes Infanteriefeuer, welches bei Tage abflaut. Kein Artilleriefeuer. Sehr niedrige Unterstände, nur zum Hineinkriechen. Erste Bekanntschaft mit Ungeziefer.
Am 18. 8. (6.00) verläßt unser Ersatz diese Stellung und kommt um 14.00 beim Ersatzdepot des 40. Res. Armeekorps an. Hier herrscht ein nicht zu verstehender Drill. Am 19. 8. (14.00 - 17.00) feldmarschmäßig Exerzieren, anschließend Abmarsch mit allerlei Drangsalen und kommen am 20. 8. (3.30) im brennenden Kowno an. Der Marsch, wie Hauptmann Plyskow bleibt unvergessen. Nur zwei viertelstündige Pausen wurden auf dem Marsch gewährt. Um 7.30 wurde bereits ein Appell angesetzt, welchem bis zum Abmarsch um 13.00 noch vier folgten. Am 21. 8. (18.00) kommen wir dann in einem obstreichen Klostergarten mit einem Aussichtsturm an und machen Biwak.
Am 22.8. (8.00) Abmarsch und dann Zuteilung zum Res. Inf. Rgt 261 in Kaszperischki. Da die Russen alle Brunnenwasser ungenießbar gemacht hatten bzw. zuschütteten, tat uns das Memelwasser in reichlichem Quantum gute Dienste. Abends Quartier in einer offenen Scheune. Das Schmutzwasser der Brunnen wird abgekocht und schmeckt schließlich doch. Es fällt auf, was wir noch so viel erleben sollten, wir hatten die Feldküche seit Tagen nicht gesehen und doch solchen Hunger.
Am 23. 8. Abmarsch, um 12.30 Ankunft in Bouble, daselbst dann Zuteilung zur 11. Kg. R. J. R. 261. Sofort Exerzieren. Nachts schlafen im Zelte. Am 24. 8. (6.00) Abmarsch über Zydajkischki zur Verfolgung der Russen. An einem Straßendamm, bei einer zerstörten Brücke, längere Rast. Um 22.00 Ankunft in einem noch bewohnten Dorfe Beizany. Am 25. 8. erhalten wir in diesem Dorfe Artilleriefeuer, wobei die Frau eines Russen verwundet wird. Ein Km. entfernt brennt ein Dorf lichterloh. Am Vorabend bezog unser Zug von 22.00 - 2.00 zur Strafe Feldwache, weil unreifes Obst gegessen worden sei, welches seinerzeit massenhafte Ruhrerkrankungen zur Folge hatte. Beim Weitermarsch Richtung sieht man auf einem Wege einen toten Kosaken. Ruhe am Waldrand. Strohsuchen. Schlafen auf einem Bauernhofe bei Mondschein unter freiem Himmel. Am 26. 8. (11.00) Abmarsch zur Deckung der Artillerie. Am Waldrand längerer Halt. Abends Abmarsch und Eingraben beim Mondschein in einem gut gepflegten Garten unter Infanterie- und Artilleriefeuer. Beim Grauen des 27. 8. gehen wir vor und finden die russische Stellung verlassen. Wieder eingegraben auf einer Höhe. Vor uns Wald, hinter uns Seenenge nördl. Warkutany. Abends Unterkunft in einer Scheune. Am 28. 8. in Reserve in Odynecewo. Komp. Führer Schröder auf dem Marsche verwundet. Am 29. 8. Gefecht bei Jaroslawiszki (über Strawienki). Nach zweistündigem Artilleriefeuer beginnt um 12.00 der Sturm. Anfänglich bieten wir dem russ. Infanteriefeuer gutes Ziel, welches sich dann im anschließenden hügeligen Gelände verlor. Beim Obstpflücken bei einem Gehöft stört uns die russ. Artillerie durch Schrapnells. Ein naher Hügel, von den Russen eingesehen, muß einzeln im Laufschritt genommen werden, welches Melder Wessels durch Bauchschuß das Leben kostete. Nach sehr langer Pause wird um 19.00 die Stellung genommen, die die Russen kurz zuvor flüchtig räumten. Originell war es, daß uns aus Irrtum in gleicher Stellung das I. R. 171 stürmte, welches den Anschluß rechts von uns verloren hatte.
In der Nacht zum 30. 8. schlafen wir dann nach kurzem Marsche bei strömenden Regen im Walde, in welchen der Russe mehrere Granaten entsendet, welche neben unheimlichem Getöse den dichten Waldbestand grell erleuchten. Wir verweilen noch bis gegen Abend, marschieren dann 2 Stunden und beginnen dann in der Nacht zum 31. 8. vor einem Walde am Spindzre-See (Einfügung des Autors: über Huta zum Spindzre-See, zwischen diesem und Talkow) eine vollkommende Stellung zu bauen. Der Untffz.-Posten, von unserer Gruppe jeden 4. Tag bezogen, liegt 20 Min. vor der Stellung. Am 17. 9. (8.30) wird dann die Stellung verlassen, und die Offensive, nachdem Wilna gefallen, wieder aufgenommen. Nach einstündigem Marsche erreichen wir die von den Russen verlassene Stellung. Pioniere stellen eine von den Russen zerstörte Brücke über die Olona her. Um 15.00 überschreiten wir bei der Station Rudzjoki die Bahnlinie Grodno-Wilna, bei dem spärlichen Eisenbahnnetz Rußlands etwas Auffallendes. Abends Unterkunft in einem verlassenen Hause in Stratischki. Am 18. 9. Weitermarsch über Wilna-Lida, um 17.00 wieder einmal in Fühlung mit den Russen. Abends in Skodsiski. In der Nacht zum 20. 9. verbringen wir in einer Scheune in Grabowo, um 10.00 Weitermarsch über Dolow . . . u. Skupa, kommen um 11.00 ins Gefecht (Ort: Rudsisziki). Es steht noch viel Halmfrucht. Unter heftigem Granat- und Schrapnellfeuer geht es teils noch durch das stehende Getreide. Am Abend merke ich, daß auch von einem Schrapnell der Boden von meinem Kochgeschirr zertrümmert ist. In gegrabenen Löchern wird dann bei Mondschein geschlafen. Einem durch schweren Bauchschuß wehklagendem russischem Sanitätsunteroffizier vermag die Kunst unserer Sanitäter keine Hilfe mehr zu bringen. Er stirbt.
Am 21. 9. (13.00) gingen wir ins Gefecht bei Polczysky. Der bald flüchtende Russe macht uns den Tag leicht. Abends Unterkunft in einer Scheune (in Klimance).
Am 22. 9. verbringen wir den Tag im Pfarrhause zu Oschmjanka, am Ende des Dorfes. Da uns der Russe jedoch durch alle Arten Feuer andauernd stört, werfen wir im Garten des Hauses unter starkem Feuer eine Stellung aus. Unser linker Flügel des Batl. glaubt bei Dunkelheit die Russen umgehen zu können und irrte sich. Etwas Seltenes geschah, der Angriff brach in russ. Feuer zusammen. Auch mein ehemaliger Schulkamerad Adolf Drescher (* 27. 2. 1895 - S. T.) ließ dabei sein Leben.
23. 9. Nachdem der Russe doch wieder aufgebrochen war, fühlten wir durch Spitzengruppe (1 Untffz. und 8 Mann) langsam vor und erreichten nach 2 Stunden um 13.00 Oschmjany, einen größeren Flecken. Hier gewahrten wir die ersten Russen, die zu flüchten gedachten, und unser schnelles Erscheinen verdutzte. Man mußte eben bleiben. Die kommende Nacht verbringen wir in einem zweistöckigem Hause, welches im russischem Dorfe auch eine Seltenheit ist (in Kraikowka).
Am 24. 9. beginnt um 6.00 ein Dauermarsch über Nowosjolki-Marklischki-Ponary-Migule bis zur anbrechenden Dunkelheit. In der Nacht zum 25. 9. ist unser (3.) Zug auf Feldwache. Um 5.00 löst uns der 1. Zug ab. Unser Zug ging 20 Min. nach Migule zurück, wo alle Waffengattungen anzutreffen waren. Scharfes russisches Artilleriefeuer legt Mecoule (gemeint ist wohl Migule - S. T.) in Schutt und Asche. Auch russische Scharfschützen gehen vor. Die Deutschen hatten mit ihrer Offensive abgeschlossen. Es begann der Stellungskampf, der in diesem weißrussischem Gebiete mit der Hauptstadt Minsk keine große Frontveränderung mehr ergab und infolgedessen auch das ehemalige Migule im Frontabschnitt beließ. Etliche Offensivkämpfe längs der Front taten dem Stellungscharakter keinen Abtrag, und am 7. 10. lagen sich beide Heere in festen Stellungen gegenüber. Ich wurde dann am 25. 9. (11.00) in dem Feuerwirrwarr in Migule durch Halsschuß (Infanteriegeschoß) verwundet. Es geht im flotten Tempo zur San. Komp. 40 auf Gut Migule, 20 Min. vom Dorfe entfernt. (Migule liegt in der Hälfte zwischen Wilna und Minsk), von der Grenze 275 km, Kowno 212 km, Wilna 91 km, Minsk 91 km entfernt. Von Koslowa-Ruda, unserem Ausladungsbahnhof 235 km (immer Luftlinie). (Von Koslowa-Ruda bis Migule waren 25 Offensiv- und 17 Stellungstage). - Mit einem Sanitäts-Wagen fuhr ich dann zum Hauptverbandsplatz in Ponary.
Am 26. 9. (6.00) fuhr ich mit einer Munitionskolonne nach Oschmjany, meldete mich dort im Feldlazarett, erhielt Proviant und fuhr um 12.00 mit einer Fuhrparkkolonne weiter. Abends schlafen wir in einer Schule, wo ein Bild Nikolaus II. das Zimmer ziert.

Am Morgen des 27. 9. fahren wir ab und kommen um 15.30 in dem schön romantisch gelegenen Wilna an, nach einer Fahrt von 65 km. In der Nacht schlafe ich dann in der Sammelstelle Georgenstraße 33. Am 28. 9. marschiert ein Transport nach der Station Landwarowo, 18 km westlich von Wilna, und nunmehr Endstation, da die Eisenbahnbrücke bei Wilna gesprengt war. Um 14.00 Abfahrt. Am Morgen des 29. 9. hält der Zug auf Station Wilkowitschky. In dem 3 km entferntem Dorfe werden wir entlaust in der Kosakenkaserne. Um 20.00 Weiterfahrt und am 30. 9. (7.00) sind wir in Königsberg. 10.00 Abfahrt über Elbing, und kommen am Morgen des 1. 10. nach Marienwerder. Seit unser Abfahrt in Landwarowo waren 66 ½ Std. verflossen.
Aufnahme im Res. Laz. B (Untffz. Schule). Sehr mäßige Verpflegung. Große Wanzenplage. Meine Verlegung am 9. 10. nach dem Kreisstädtchen Mewe (später vom Verfasser eingefügt: jetzt polnische Kreisstadt Gniew) empfinde ich als Erlösung. Aufnahme im Res. Laz. Danuta. Sehr gute Verpflegung. Am 6. 11. wurde ich zum Ers. Batl. in Döberitz entlassen, wo ich dann am 7. 11. ankam. So lernte ich Döberitz zum erstenmale kennen, ohne zu ahnen, daß ich noch öfter in Zukunft nach späteren Verwundungen dortselbst verbringen müßte. Eine anfängliche Ansicht, mich zum Erholungsheim nach Potsdam zu entsenden, schlug fehl. Man machte mich am 11. 12. kriegsverwendungsfähig, und mit dieser Losung genoß ich dann vom 12. - 26. 12. meinen Erholungsurlaub in Krofdorf.


1916:
Am 15. 1. wurde ich dann als „Kriegsverwendungsfähiger“ in die 2 b Comp. versetzt. Vom 2. - 14. 2. war unsere Komp. in Potsdam. Kaserne war das Restaurant „Wilhelmshöhe“ Augustastraße 15 und Exerzierplatz das Bornstedter Feld. Dann ging es wieder nach Döberitz. Vom 19. - 26. 4 war ich in Krofdorf (Heimaturlaub). Am 30. 4. wurde zum erstenmale die Sommerzeit eingeführt. Vom 2. - 14. 5. war unsere Komp. zur Übung in Berlin. Kaserne war die Gemeindeschule 80 in der Wrangelstraße im Osten und Exerzierplatz das Tempelhofer Feld.
Am 20. 5. rückte ich dann zum zweitenmale und abermals nach Rußland aus. Die 2 b Comp. stellte zum Transport 96 Mann. Der Zug verläßt um 10.00 Döberitz. Am 20. 5. fahren wir über Tempelhof, Küstrin, Weiterfahrt 21.30 über Landsberg a. W. Am 21. 5. Fahrt über Kreuz, um 4.00 weiter über Schneidemühl, Konitz, Graudenz, Gosslershauen, Korschen, Insterburg; am 22. 5. bei Eydtkuhnen-Wirballen über die Grenze. Dort langer Aufenthalt und Weiterfahrt über Wilkowitschky, Pilwitschky, Koslowa-Rude, Kowno, Koschedary, Landwarowo; und kommen der nunmehrigen Endstation Soly-Wert am 23. 5. (5.00) an. Seit unserer Abfahrt in Döberitz waren 67 Stunden verflossen.

Um 11.30 beginnen wir einen 28 km langen Marsch über Barranza, Luprany, Stimony, Tivoly, Kuschjany nach der Gefechtsbagage der 11/261 im Walde bei Kubakowo. Seit dem 23. 5. gehörte ich der 11. Comp. Res. Inf. Rgt. 261 zum zweitenmale an. Wir sind 8 Mann Ersatz. Unsere Tätigkeit besteht in Arbeiten für die Bagage. Wir schlafen im Zelte. Am 11. 6. war Pfingsten. Am 19. 6. hatte unsere Komp. in der Dunkelheit einen Vorstoß bis zur dritten russischen Stellung im „Stangenwäldchen“ gemacht, wobei mein Freund Karl Will (* 12. 11. 1893 - S. T.)) vermißt wurde. Es war ihm bereits schon meine Anwesenheit bei der Komp. Bagage bekannt gewesen und hatte mich bestens grüßen lassen in Angesicht des baldigen Wiedersehens. Karl Will hatte nun schon ein Winter in Rußland verbracht. Ein Wiedersehen war ihm und mir nicht vergönnt. Am Morgen des 20. 6. kamen die sechs Gefallenen, die von der Komp. geborgen wurden, auf einem Wagen bei der Bagage an und wurden in Glinnaja bestattet.
Am 22. 6. abends ging ich dann in Stellung. Diesmal wirklich Stellungskrieg im Abschnitt Smorgon-Twerchsch-Krewo. Links sieht man den weißen Kirchturm des Städtchens Smorgon und zwischen uns und den Russen das ausgebrannte Kloster Liskoan der Tartaren. Halb links hinter uns der Spuckberg. Hinter dem Rücken der Stellung der Wachholdergrund, wo abends unsere Feldküche hinkommt. Vor dem Sanitäts- Unterstand zwei Soldatengräber (ein Deutscher und ein Russe, welche sich im vergangenen Schneewinter gegenseitig töteten). Zwei Schildernamen, die Namen der nun im Tode Geeinten. Es ist vollkommene Feuerruhe. Man hört sogar am russischen Eisenbahnknotenpunkt die Maschinen pochen. Da macht unsere Nachbardivision bei Smorgon einen Gasangriff. Unser Drahtverhau wird elektrisch geladen. Der Russe kann unruhig werden. Und wird es wirklich, betrommelt unsere Stellung ganz erstaunlich vom 2. - 4. 7., greift am 5. 7. (10.00) an und wird abgeschlagen. Ein Mann unseres Ersatzes vom 23. 5., Joseph Meschede, verliert sein Leben.
Am 24. 7. löst uns das 1. Batl. ab und wir kommen in Reserve nach dem Waldlager Glinnaja. Im Walde „Maikäferkolonie“ bei Karawai wurden wir in dieser Zeit zweimal entlaust.
Am 9. 8. Abmarsch, um angeblich in Armee-Reserve nach Barranza zu kommen. Schon am 15. 8. (19.00) Abmarsch und nach einer Std. Marsch Verladung in Soly-West. Unsere Fahrt ging über Koschedary, Wilna, Mitau und endet in Tuckum (Kurland) am 17. 8., 8.30 nach 36stündiger Dauer.Der Abmarsch brachte uns an diesem Tage nach dem Gutshof Warkal, in dessen Scheune wir quartieren. Die massiven Bauten in Kurland fallen auf. Bei Tage anfangs Exerzieren, schließlich in einem 5 km entferntem Walde Unterstand bauen. Der Weg dorthin führt an dem Schloß Lerche mit den Orten Ammerneck und Bledeneck, einer rein paradiesischen Gegen, vorbei.
Am 3. 9. zogen wir in die von uns gebauten Unterstände. Schon am 7. 9. mußten wir das Inf. Rgt 21 bei Dubeln-Smilto, nach der Ostseeküste, ablösen. In der Ebene war die Stellung durch Stämme überirdisch, wie auch die Unterstände Blockhäuser sein mußten. Hoch aufgeworfene Erdhügel mußten gegen Artilleriefeuer Schutz gewähren, welche wir in dieser, an sich ruhigen Stellung auszuprobieren, einmal gründlich die Gelegenheit hatten. Als wir einmal in der Ostsee Muscheln lasen, störte und ebenfalls der Russe. Links von uns lag das finnische 9. Jäger-Batl., welches ebenfalls gegen Rußland kämpfte, jedoch war die gegenseitige Verständigung öfter schwer. Ihre Offiziere, sowie Unteroffiziere trugen merkwürdiger Weise russische Rangabzeichen. Unsere Feldwache lag 1 Km vor der Stellung auf einem Hügel, Laus genannt, gegenüber die russ. in 500 m Entfernung. Hier machte der Russe am 11. 10. bei Sturm und Regen einen Angriff um 1.00 und wurde abgeschlagen. Von der Feldwache unserer Nachbar-Komp. (4/261) lief ein Mann hier zu den Russen über. In Pilk lag unsere Bagage. Am 13. 10. löste uns das I. R 29 ab. Wir verließen die Stellung mit den Unterständen „Kalter Frosch“ und „Deutsches Haus“ (davon Foto im Anhang des Tagebuches - S. T.) und Abmarsch über Oberförsterei Tuckum, Schlockenbeck und Cirpeck und schliefen nach 25 km Marsch in einem Pferdestall. Am 14. 10. (7.30) Abmarsch und Ankunft um 16.00 in Sumarak. Dort schlafen wir in einem, von ehemaligen anwesenden Truppen gebauten Blockhause. Am Morgen des 15. 10. (7.00) Abmarsch und Ablösung der 7/29 um 8.00. Großes Sumpfgelände links der Aa, Stellung überirdisch und Gehen nur auf Rosten möglich. Die Feldwache liegt 40 Minuten vor der Stellung. Es herrscht völlige Feuerruhe in unserem Abschnitt, wie nie im Kriege erlebt. Man hört und sieht nichts vom Russen. Es scheint Frieden zu sein. Jedoch erinnert das zeitweise lebhafte Artilleriefeuer am rechten Flügel unseres Regts an der Aa an etwas anderes. Am 3. 11. schieße ich dann auf Feldwache einen Rehbock Sollte man am St. Hubertustage wirklich Jagdglück haben? Wo wäre im Westen auf Vorposten oder vielen Stellen auch im Osten ein Wild zu schießen möglich gewesen?
Am 21. 11. löst uns 12/261 ab, wir kommen in den Wald bei Sumarak in Reserve und bauen Knüppeldämme.
Am 2. 12. Abmarsch und um 15.30 Verladen in Caluzelm-Latschen (Aa) zum Transport in Schleppkähnen. Es friert uns sehr. Nach 5 Stunden kommen wir in Mitau an, nehmen Quartier in der Kosakenkaserne (Konstantin-Str.).
Am 5. 12. (23.50) Abfahrt mit Transportzug, angeblich nach Rumänien. Wir kamen jedoch nach Frankreich. Am 6. 12. Fahrt über Murajewo, Cciddary, Sheimy, Landwarowo, Grodno. Am 7. 12. über Bialystock, Warschau, Scierncwice, Lodz. Am 8. 12. (0.30) Ankunft in Kalisch (wo eine sehr gründliche Reinigung stattfand), 20.00 Abfahrt, über die Grenze um 21.00. Am 9. 12. Fahrt über Punitz (Posen), Lissa i. P., Glogau, Torgau, Sangershausen, Northeim, Paderborn, Soest, Elberfeld-Barmen; am 10. 12. Fahrt über Neuss, Aachen, Herbesthal, Grenze. Lüttich, Landen, Löwen, Schaarbeek, großer Gbf (Güterbahnhof?) und werden um 21.30 in Ascq ausgeladen. Seit unserer Abfahrt in Mitau waren 118 Stunden verflossen.
Nach 6 km Marsch bei strömendem Regen kamen wir nach Hem bei Lille in Bürgerquartier (100 rue de petit Lannoy). Sehr gutes Auskommen, für uns anfänglich als „Neulinge“ befremdend, doch bald war aller Zweifel behoben. Bei Tage Exerzieren. Man verstand sich schon recht gut, als ich am 18. 12. in einem 14tägigen Heimaturlaub fuhr. Ich konnte meine freundlichen und einzigen „Gastgeber“ nie wieder sehen, obwohl wir es uns so gerne gewünscht hatten.

1917:
Am 3. 1. lief mein Urlaub ab und ich kehrte am 4. 1. zur Truppe, die mittlerweile in Bauvin-Provin Quartier genommen hatte, zurück. Am gleichen Abend sah ich beim Eintreffen von uns 4 Urlaubern die Komp. in Stellung gehen. Wir waren deshalb noch nicht eingeteilt und wurden bis zum 18. 1 zum Telefonisten ausgebildet. Am 19. 1. ging ich dann, wohl mit gemischten Gefühlen, zum erstenmal im Westen in Stellung. Nach einem kurzen Marsche nach Meurchin wurden wir dort verladen und fuhren mit einer Feldbahn bis Haisnes. Von dort kamen wir über die „Hohenzollernschanze“ (Feldküchen-Standplatz) nach ¾ Std. Marsch in die Stellung, welche in einer Ebene lag. Über die Änderung des Kampfcharakters gegenüber Rußlands Tagen sind keine Worte zu verlieren. Schon das anhaltende Dauergrollen der Geschütze aus der Ferne war dahingehend belehrend, ferner das in der Frontlinie schon zu so und soviel Malen aufgewühlte Trichterfeld, die zerstörten Drahtverhaue u. dgl. m. Die genannte Stellung lag westlich von Auchy. Am 26. 1. wurde ich durch einen Minensplitter dortselbst unter dem rechten Auge leicht verwundet, blieb bei der Truppe, erhielt wegen einer leichten Vereiterung einen viertägigen Verband, nachdem wir am Abend jenes 26. 1 durch das Inf. Rgt 165 abgelöst worden waren. Es war ja als Verwundung, die sich damals noch nichts ahnend, später noch steigern sollten, ein leichter Anfang. Wir kamen dann am Morgen des 27. 1. nach Annoeullin, fuhren bereits am 28. 1. (8.00) ab und kamen um 9.00 in Harnes an.
Am 30. 1. (1.00) Abmarsch und Kommen über Loison und der Stadt Lens bei dem Dorfe St.-Piérre in Stellung. Wir lösen das Inf. Regt. 22, ein schlesisches Regt, ab. Das flache Gelände wird von einer hohen Kohlenhalde unterbrochen und geht rechts von der Halde englischerseits in eine Versenkung über, die Kohlenhalde ist in der Mitte gesprengt und am Trichterrand thronen die Maschinengewehr-Schützen der Deutschen und Engländer, jeden zu erblickenden Gegner im tiefer liegendem Flachland abzuschießen. Die dadurch gefährdeten Stellen in unserem Graben sind durch 2 Fähnchen, am Anfang und Ende dieser Zonen je eins, zwischen den jedesmal ein Wettrennen beim Begehen stattfindet, gekennzeichnet. Die Umgebung der Halde machte während der Dunkelheit einen unheimlichen Eindruck. Beim strömenden Regen löste ich dann als erste Postennummer einen 22er ab, dessen politisches Gerede ich nicht verdauen konnte. Es war keine Hand vor den Augen zu erkennen. Der sogenannte „Bulgarengraben“ war ca 3 m breit und total verschlammt. Etliche Minenwerfer schießen auf unsere Stellung fehl.
Am 4. 2. löst und das 1. Btl. ab. Wir kommen über Lens-Loison wieder nach Harnes in Reserve. Ein Kino im Dorf wird von uns öfters besucht. Es dauert dann lange, bis wir uns in der riesigen Dunkelheit ins Quartier hineinfinden. Am 12. 2. lösen wir abermals in St. Piérre ab auf gleichem Wege wie am 30. 1. und zwar das 2. Btl. Am 14. 2. macht dann der Engländer plötzlich einen Feuerüberfall, wobei eines unserer Munitions-Depots in die Luft geht. Dasselbe war in 4. und wir lagen in 3. Linie, dem „Dresdener Graben“. Kamerad Hermann Bosker erhält dann in demselben einen Granatsplitter in das rechte Bein (dessen Mark ausläuft) und ihn jammervoll schreien läßt. Es war seine 4. Kriegsverwundung. Er soll dann 4 Tage später im Fieberwahn gestorben sein und liegt auf dem Friedhof von Harnes, am Ortsausgang nach Loison gelegen, begraben.
Am 22. 2. Ablösung und kommen wieder nach Harnes in Reserve. Am 25. 2. Abmarsch in Harnes und Ablösung der 14. Bayern am Morgen des 26. 2. auf der Wimy-Höhe. Obwohl allgemein hier fast stets Großkampfzone, eine fast stoische Kampfruhe. Etwas nordöstlich, fast anschließend, die von den Engländern besetzte, stets heißumstrittene Lorettohöhe, von wo man uns in die Gräben schauen und ostwärts von dem Wimy-Rücken die deutsche Operationszone überblicken kann. Südlich am Fuße der Lorettohöhe liegt Souchez, mit der bekannten Zuckerfabrik, und im Hintergrund der englischen Stellungen sieht man mit diesen parallel eine Landstraße laufen, hinter welcher man von dem dahinterliegenden Carency nur die Kirchturmspitze wahrnimmt. Die Stellungen liegen sich in einer Ackermulde 80 m gegenüber, hinter jeder allmählich ansteigend und auf deutscher Seite mit der 4. Linie mäßig schroff abfallend, um in ein Flachland, welches die Landstraße Lens-Arras durchläuft, überzugehen.
Auf dem Marsche ab Harnes berührten wir Méricourt, Avion (eine Zeche bei Avion hatte am 2. 2. 65 bei Schlagwetter-Explosion 21 Tote) und das völlig zerstörte Givenchy en Gohelle am Nordostabhang der Wimyhöhe. Fürchterlicher Grabenschlamm erschwerte das Fortkommen.
Am 3. 3. sollte unsere Komp. etwas „Leben“ in dieses Gebiet bringen, den Engländer angreifen. Am 1. 3. bei Tagesgrauen griff er jedoch nach zweimaligem Gasangriff und Verneblungsschießen unsere Stellung an und suchte in unsere Stellung einzudringen, welches ihn jedoch in heftiger Gegenwehr unmöglich gemacht wurde. Das unverzeihliche Versagen der deutschen Artillerie hätte ihm seine Aufgabe ermöglicht, jedoch leisteten die Minenwerfer und Maschinengewehre der Infanterie einen solchen Beistand, daß ihr Angriff blutig zusammenbrach. Wohl zählten wir viele Gasvergiftete und ebenso verlor ein treuer Kamerad, Paul Schulze aus Strausberg b. Bln. (Berlin) durch Granatsplitterverletzung im Gehirn, sein Leben. Er sollte am 3. 3. in Urlaub fahren. Durch die Beschießung unserer 3. Linie mit schwerer Artillerie war ein 42 Stufen tiefer, mit zwei Eingängen versehener Stollen bzw. Unterstand eingeschlossen. Von den 7 Insassen kamen zwei Soldaten mit dem Leben davon. Einer davon war mein Schulfreund Willi Hahn (* 5. 7. 1895 - S. T.). Fünf waren erstickt. Hahn erhielt 4 Wochen Erholung hinter der Front. Vor unserem Komp. Abschnitt ließ der Engländer bzw. Kanadier, wie wir feststellten, 300 Tote zurück. Am Morgen des 3. 3. erschien dann ein englischer Parlamentär mit weißer Flagge und kam um Waffenstillstand in unserem Abschnitt ein. Er wurde gewährt. Ein erhebendes Erlebnis! Zwischen der deutschen und englischen Linie stehen die „Feinde“ gegenseitig in Tuchfühlung und in Gruppen zusammen - „Frieden!“ - nur ein Tag und an diesem nur 5 Stunden (von 8 - 13.00), wie vereinbart wurde. Wir trugen dann die engl. Toten zur Mitte und übergaben sie dann den Engländern zum Weitertragen. Sämtliche engl. Ausrüstungsgegenstände, welche in der Zone lagen, wurden uns zugesprochen und von uns aufgeräumt.
Am 12. 3. Ablösung durch 1. Btl und Reserve in Rouvroy, wo ehemals durch Fliegerangriff auf einen deutschen Munitionszug durch dessen Explosion der Bahnhof völlig zerstört war. Man sieht im Orte trotz der Frontnähe noch mehrere Zivilisten. Wir gehen baden nach dem nahen Billy-Montigny, besuchen die Orte Acheville und Bois-Bernard. Man verschonte uns hier von dem üblichen Exerzieren. Am 15. 3. beginnt der Engländer plötzlich mit starkem Artl.feuer, wobei auch selbst Rouvroy mit einigen Granaten bedacht wird. Am 18. 3. lösten wir das 2. Batl. ab. Die Feuerwirkung war schon gut festzustellen, jedoch fand man sich in dem Laufgraben, Fischlergang genannt, und in den Liniengräben noch allgemein gut zurecht. Am 28. 3. setzte jedoch englischerseits ein atemraubendes Trommelfeuer unter Anwendung aller Kaliber von 7,5 - 38,5 cm an Geschossen ein. Die Höhe bebte und zitterte. Am 30. 3. Ablösung durch 1. Batl. und in Reserve über Wimy und Acheville wieder nach Rouvroy. Das Feuer bleibt unvermindert stark. Die ganze Höhe dampft und kocht, wie man kilometerweit beobachten kann.
Am 4. 4. wird dann unsere Gruppe einem Arbeitskommando zugeteilt, um im zerschossenen Dorfe Vimy die Keller für heranziehende Reservetruppen aufzuräumen. wo man den englischen Angriff täglich erwartete.
Am 6. 4. Auflösung des Kommandos, Meldung bei der Komp., die bei ihrem enormen Verlusten auch jeden Mann dringend benötigte. Eine Orientierung im Gelände war nun unmöglich geworden. 7. 4. Ich sah noch einmal in der Abfangstellung meinen von seiner Erholung zurückgekehrten Freund Willi Hahn zum letzten Male (vermisst seit 9. 4. 1917 – S. T.). Laufgraben und Linien nicht vorhanden, Drahtverhaue und Unterstände zermalmt. Fürchterlicher Schlamm, mühsames Fortbewegen, Stiefel- und Strümpfeverlieren, barfuß im tiefen Schlamm weiter, Füße vom Draht blutend zerschunden und keine Menschenseele zu erblicken. Eine englische Maschinengewehrgeschoßgarbe streift meinen Stahlhelm. Glück! Immer weiter. Da ! um 7.00 Infanterie-Durchschuß rechter Oberschenkel aus der Nähe. Ein beginnendes Artillerieduell belehrt mich, daß ich der englischen Linie sehr nahe bin und von der deutschen weit entfernt. Im „Jägertrichter“, entstanden durch eine Sprengung unserer Pioniere, um die bereits geplante englische Sprengung unter unser 2. Linie zu vereiteln, fand ich dann von 8 - 21.00 Aufnahme. Von dort trugen mich dann 4 Kameraden in zeitweiligem Geschützfeuer zum Sanitäts-Unterstand des Batl. am Abhang der Höhe.
Am 8. und 9. 4. war Ostern Am 9. 4. hat dann der Engländer die Höhe für immer in Besitz genommen. Seit jener Zeit ist mein Schulfreund Willi Hahn vermißt.
Am 8. 4. fuhr ich auf holprigen, zerschossenen Wegen mit einem Sanitätswagen zum Feldlazarett in Drocourt (San-Komp. 40). Am 9. 4. (19.00) fuhr ich dann mit einem Sanitätsauto zum Bayr. Kriegslazarett 654 in Douai. Dieses war bis zum 11. 4. so überfüllt, daß 3 Verwundete in 2 Betten schlafen mußten.
Am 12. 4. (24.00) verließ ich Douai mit dem Vereinslazarettzug E 2 Köln. Am 13. 4. Fahrt über Charleroi, Namur, Verviers, Aachen, Eschweiler und kommen um 22.00 auf Bhf Köln-Mülheim an, wo wir die Nacht im Zuge schliefen, um dann am Morgen des 14. 4. in Köln-Deutz ausgeladen zu werden. Mit der Abfahrt in Douai bis Ankunft in Köln-Mülheim waren 22 Stunden verflossen.
Im Festungslazarett 8 (Loreley-Schule) in Köln fand ich Aufnahme. Sehr gute Verpflegung. Nach kaum 4 Wochen wurde ich bereits am 9. 5. garnisonsverwendungsfähig entlassen und kam am 10. 5. vorm. in Döberitz, welches ich nun zum zweiten Male sah, an.
Vom 12. - 26. 5. erhielt ich Erholungsurlaub. Am 26. 5. wurde ich dann bereits kriegsverwendungfähig befunden. Am 27. u. 28. 5. Pfingsten. Am 1. und 2. 6. Ausgangssperre wegen Alarmbereitschaft; man weiß natürlich nicht, warum. Teils äußert man, die Kriegsgefangenen im Lager am Galgenberg versuchten zu rebellieren. Andere wollen wissen, daß die Bevölkerung Berlins aufsässig wäre. Wir fanden keine Verwendung.
Am 13. 6. rückte ich dann zum dritten Male, diesmal zum letztenmale, aus. Seit meiner Verwundung am 7. 4. waren gerade 9 ½ Wochen verflossen. Es war ein offenes Geheimnis, daß die Truppen im Felde sehr benötigt wurden. Der Transportzug fuhr um 16.15 ab über Rathenow, Schönhausen a. Elbe, Stendal , Gardelegen; am 14. 6. über Lehrte, Hannover, Minden, Bielefeld, Gütersloh, Hamm, Dortmund, Oberhausen, Duisburg, Düsseldorf-Eller, Opladen, Köln. Am 15. 6. Fahrt über Lüttich, Landen, Löwen, Brüssel-Schaarbek, Zottegem, Oudenaarde, wo ein Mann aus dem Zug fiel, Kortrijk. Abfahrt 16.00. Mouscron, Tourcoing, Lille, Ausladung. 22.30 Weiterfahrt und Ankunft an der Endstation Haubourdin 22.30. Seit der Abfahrt in Döberitz waren 55 Stunden verflossen.
In Haubourdin lag das Feld-Rekruten-Depot der 79. Res. Divi. Seit dem 16. 6. gehöre ich diesem an. Am 18. 6. wurde ich, auf Meldung hin, mit noch 5 Mann unserer Komp. (der 1.) zur Ausbildung als Erdtelegraphist zur A. T. Abt. 79. Res. Div. abkommandiert. Wir fahren über Santes nach Wavrin. Die gebildete A. T. Abt. bestand aus 1 Telegr Offizier, 1 Wachtm., 5 Untffz. und 40 Mann. Ihre Zusammenstellung war erfolgt aus den Regt. unserer Division, den Inf. Regt. 261, 262 und 263 und dem Feld-Artl.-Regt 63. Es handelte sich um die erste Einführung der drahtlosen Telegraphie zur Verwendung im Stellungskampf. In Wavrin lagen wir im noch belegten Waisenhause am Bahnhof und hatten dort schwer unter der Stechmückenplage zu leiden, die durch die dortige Sumpfgegend erklärlich war. Es ist kaum zu schlafen.
Am 20. 6. kommen wir zum Kursus unter Leitung eines Lts. des A. O. K. in der Rupprechtkaserne in Douai, in welcher auch Kriegsgefangene untergebracht sind, und bleiben bis zum 23. 6. dort.
Am 24. 6. kommen wir wieder nach Wavrin, um es am 12. 7. zu verlassen. Nach 10 km Marsch kommen wir nach Camphin, von wo aus ich meine Kameraden von der 11./261, in Ennevellin in Ruhe liegend, besuchte. Hierbei sollte ich meinen Kameraden Rudolf Pfaff (Füselier aus Launsbach, gefallen am 16. 8. 1917 – S. T.) das letzte Mal sehen. Am 16. 7. verließen wir Camphin (5 km von Auvellin entfernt) und werden um 8.00 in Carvin in einen Transportzug verladen.
Abfahrt um 8.30 über Bauvin-Provin, Haubourdin, Lille, Roubaix, Tourcoin, Mouscron, Kortrijk und kommen 14.00 an der Endstation Brügge (Belg.-Flandern) an. Seit der Abfahrt in Carvin waren 5 ½ Stunden verflossen.
Wir marschieren 3 km und kommen nach St.-Michiels, einem Vorort von Brügge, in einem Restaurant in Quartier, um am 18. 7. in St.-Croix bei Brügge (Horgeweg 56) ins Bürgerquartier zu kommen. Hier sind die Bewohner in Unterhaltung, soweit es möglich sein könnte, kalt und frostig; ein zehnjähriges Töchterchen ließ sich schließlich doch von mir dazu bestimmen, ihren Namen „Marie Tolain“, wenn auch etwas ungelenk,, in mein Notizbuch schreiben.
Am 30. 7. verlassen wir St.-Croix und kommen nach 20 km Marsch in südlicher Richtung in Torhout an. Die Bewohner des Hauses, in dem wir Aufnahme fanden, erklären uns, daß die Zerstörung des gegenüber stehenden Hauses bereits 1914 durch eine deutsche Fliegerbombe verursacht worden sei. Sie müssen damals viel erlebt haben, man merkt es ihnen beim Erzählen über dieses Vorkommnis an.
Bereits am 31. 7. verlassen wir Torhout, und sind nach 10 km Marsch in Roulers (Roeselare). Dort nehmen wir in einem, der Einrichtung nach anzunehmen, wohl ehemalig gut bürgerlichem Hause in der Iseghem-Straße Quartier. In gut erhaltenen Bettstellen liegen ebensolche Matratzen, welche Lagerstatt uns sehr gut tut. Von Bewohnern ist nichts zu sehen, obwohl noch viel Zivilbevölkerung in Roulers anwesend ist. Jedenfalls haben die Bessergestellten ihre Heimat verlassen.
Am 4. 8. kommen wir nach Ortsunterkunft Hooglede, welches die Bewohner lt. Armeebefehl verlassen müssen. Man sieht sie ihre Habseligkeiten, die meistens nur teilweise mitgenommen werden können, auf kleineren und größeren Fahrzeugen verladen. In ihren Gesichtern erkennt man den Schmerz, die Heimat verlassen zu müssen. Sie flüchten nach dem rückwärt gelegenen Roulers, wie wenn sie da geborgen seien. Jedoch wird auch dieses seit Tagen von den Engländern beschossen.
Es war die Zeit der 1. großen Flandernschlacht. Am 11. 8. ging ich dann, nach eingehender Prüfung, im neuen Kriegshandwerk, mit der 1. Rate unserer Abteilung als Erdtelegraphist nach Poelkapelle bei Langemarck beim Regts-Gefechtsstand Res. Inf. Regt 263 in Stellung. Unsere Division lag, etwas vorgeschoben, in Stellung. Es war die scheußlichste Zeit, welche ich im Krieg erleben sollte. Die englische Artillerie, nach den Aufzeichnungen des Reichsarchivs, die jedenfalls authentisch sein dürften, war uns nach diesen Aufzeichnungen vierfach überlegen und entfaltete ein Trommelfeuer von ungeheurer Heftigkeit. Es sollen (immer nach den Aufzeichnungen) in jenem Abschnitt in einer Breite von 30 und einer Tiefe von 10 km deutscherseits in 8 Tagen 800000 Granaten, englischerseits 3500000 verschossen worden sein. Man überlege sich diese enorme Zahl und diese Wirkung auf die Truppen, die nicht mehr als Menschen anzusprechen waren, sondern als willenlose Geschöpfe, welche sich in sturer Weise ihrem bedauernswerten Schicksal ergaben.
Nun lagen wir als Erdtelegraphisten in einem bombensicheren Unterstand, weil gerade eine technische Kampfgruppe nach Möglichkeit unversehrt bleiben sollte, um jederzeit ihrer wichtigen Aufgabe gerecht zu werden. Selbst einem Hauptmann konnte seine Schwulität und Ärger über die Art unserer Unterkunft nichts nutzen. Er mußte sich etwas anderes belehren lassen und mißmutig abziehen.
13. 8. Von dieser Stelle aus ging ich dann mit Kamerad Kroll und Jungemann zum Essenholen. Es war noch immer das größte „Vergnügen“. Da die Hauptstraße nach Westrozebeke über Spliedt ständig unter Artilleriefeuer lag und wegen den verkehrsstörenden abgeschossenen Bäumen, sowie den zerschossenen Munitionswagen mit gefallenen Pferden und Begleitern schlecht passierbar war, wählten wir die links von der Straße gelegenen Feldwege, um nach unserer Küche in Westrozebeke zu gelangen. Es war etwas feuerruhig, und so langten wir glücklich dort an. Nachdem wir unseren Proviant in Empfang genommen, wählten wir wieder den gleichen Weg als Rückweg nach Poelkapelle, welches von Westrozebeke aus in sanft fallendem Gelände zu erreichen war. Ein steigendes Artilleriefeuer auf Poelkapelle vor uns machte Kam. Jungemann stutzig. Schließlich wurden wir uns einig, die Kameraden müssen warmes Essen und ihren Proviant bekommen. Nach kaum 10 Minuten gehen fährt dicht bei uns im Mordstempo ein Feldartilleriegeschütz auf, schießt einige Granaten eiligst zum Engländer hinüber. Jedoch versteht dieser keinen Spaß! Umsonst hat er nicht die sieben Fesselballons am Himmel stehen. Wir ahnen, was kommt. Und es kommt. Und wir liegen, Kroll durch Beinschuß und ich durch Schultersteckschuß verwundet durch Artilleriegeschoß. Jungmann ist nicht verwundet und schleppt Kroll auf dem Rücken. Granaten fauchen, drei Mann liegen minutenlang wie bewußtlos am Boden und sehen sich im Geiste bei der nächsten Granate in einem Nichts blutig zerstoben. Wir wissen nicht, wie wir nach Westrozebeke zurückkamen. Eine noch stehende, hohe Giebelwand bricht nach unserem Wegrennen von derselben mit lautem Getöse im Staub zusammen. Endlich im Dorfe. Zurückflutende Infanteristen sucht ein Offizier mit gezogenem Revolver zum Vorgehen zu „ermuntern“. Wie er mich erblickt, steckt er ihn ein, ruft einen Sanitäter, der mir den Rock im Rücken längs aufschneidet und mir erklärt, es reiche für Deutschland und mich dabei verbindet. Warum der Offizier meine Verwundung „Glück“ nannte? Er nahm seinen Revolver nicht mehr heraus. Die zurückflutenden Infanteristen waren indessen verschwunden.
In einem Fabriksgebäude, wo unsere 8. Comp. zum Abmarsch nach vorne bereit stand, verbrachte ich einige Stunden. Man betrachtete mich wohl nicht ganz neidlos. Manche wünschten, „ebensoweit“ zu sein und mit mir gehen zu können. Selbst daß ich vor Schmerzen stöhnte, nicht sitzen, liegen und stehen konnte, machte auf sie keinen Eindruck. Denn durch die hohen Fabrikfenster sah man draußen den Höllenschlund der Front, roterleuchtet ohne Unterbrechung, so weit man sehen konnte. Und in diesen Schlund sollten sie hinein. Da war es kein Wunder, daß sie mit einem Schwerverwundeten nicht fühlen konnten.
Sanitätswagen, von uns angesprochen, nahmen uns wegen Überfüllung nicht auf. Ein Fuhrwerk von der 4. Cp. R. J. R. 261 brachte mich mit Kamerad Kroll nach Sleihage, wo wir beide uns dann trennen mußten. Mit einem Infantristen, der das Gehör verloren, ging ich nach Oostnieuwkerke zur Sanitäts Komp. Die Schlacht tobte vorne auf das erbitterste. Mein tauber Wegkamerad hat alle Mühe, auf meine Zeichen hin, vor den Geschossen sich in Sicherheit zu bringen. In Oostnieuwkerke werde ich dann als Letzter in ein zufällig abgehendes Sanitäts-Auto verladen und komme über Roulers nach Hooglede, dem mir bekannten Orte, ins Feldlazarett 110.
Am 14. 8. (2.00) wurde der Steckschuß, welcher mein linkes Schulterblatt zerschlug, entfernt. Sechs Tage sollte ich im Feldlazarett bleiben. Ein Mann neben mir konnte auf meine Fragen nicht antworten. Schließlich sagte er „Tommy“, also ein Engländer. Gegenüber ein Engländer; sieben schwere Lungenschüsse! sagt der Arzt. Vier Tage und Nächte ruft er nur! „Wasser!“, dann stirbt er. Die Ärzte haben viel zu tun. Viel Menschenblut hat ihre Schürzen gerötet. Englische Flieger, die die Funkenstation in Hooglede mit Bomben belegen, stören die Nachtruhe. Unsere Flieger-Abwehrbatterie neben unserem Saal läßt beim Abschuß diesen erzittern und die Schwerverwundeten jammervoll aufstöhnen. Für manchen Totgeweihten war es noch einmal ein „letzter Gruß“ vor dem Augenschließen. Der Massenfriedhof in Hooglede zeugt von der Menge der im Feld-Lazarett Verschiedenen.
Am Morgen des 20. 8. (Montag) fuhr ich in einem der vier Anhänger eines Sanitätsautos nach Izegem über Roulers, um im Lazarettzug verladen zu werden. Das Geschaukel in einem der zweirädrigen Anhänger war bei meinem Zustand wirklich kein Vergnügen.
Um 22.00 fuhren wir in Izegem ab über Oudenaarde, Brüssel-Schaerbeek, Lauden, Lüttich, nördlich Aachen, Düren, Köln. In der Nacht zum 22. 8. schliefen wir im fahrenden Zuge auf Station Köln-Mülheim. Am 22, 8. fuhren wir über Opladen, Ohligs, Solingen und kommen um 13.00 in Remscheid an. Seit unserer Abfahrt in Izegem waren 39 Stunden verflossen.
In der Privatklinik Dr. Münkeloh-Remscheid, Alleestraße 105, fand ich Aufnahme. Außer zirka 10 Zivilpatienten befinden sich noch etwa 14 Verwundete nun in dieser Klinik. Verpflegung besser als Behandlung. Der Arzt hofft mich bald zu heilen und hält eine von mir angestrebte Verlegung in das Heimatlazarett Gießen deswegen für aussichtslos. Nur einem vertretenden Arzte verdanke ich es, daß am 26. 9. meine Verlegung nach Giessen erfolgte. Ich habe Dr. Münkeloh-Remscheid nie verstehen können.
Am 27. 9. fand ich dann im Res. Lazarett 2 (Siechenanstalt) Giessen Aufnahme. Hier fungierte Dr. Büchner-Giessen. Behandlung besser wie Verpflegung. Am 6. 10. zweite Operation; Öffnen des Schußkanals, welchen Dr. Münkeloh-Remscheid zuheilen wollte. Hier findet sich noch ein Knochensplitter. Die Wunde ist nun 18 cm lang und 7 cm breit. Mein Zustand bringt Dr. Büchner Besorgnis. Erst nach Behebung derselben machen sie meinen Eltern davon Mitteilung. Am 10. 12. ist die Wunde noch 3 ½ cm breit, wobei es dann verblieben ist. Zu Weihnachten war ich vom 24.- 26. 12. beurlaubt. Bereits am 29. 12. begann mein Neujahrs-Urlaub.

1918:
Am 7. 1. lief mein 10tägiger Neujahrs-Urlaub ab. Die Wunde ist fast geheilt und scheint zu Komplikationen keinen Anlaß mehr zu geben. Der Inspektor des Lazaretts hat uns manchen Spaß gemacht.
Am 17. 1. wurde ich in das Res. Laz. 1 (Stadtknabenschule) Giessen verlegt. Es galt als Übergangslazarett für bereits hergestellte Verwundete. Man sollte sich wieder an das Arbeiten gewöhnen, wie man sagte. Man sandt mich in das Gewerbehaus in der Kirchstraße (neben an der Stadtknabenschule). Die Tätigkeit bestand im Glattschleifen von Bügeleisen. Die Tätigkeit unterstand der Kriegsfürsorge und wurde pro Stück mit 25 Pfg entlohnt. Nachdem ich jedoch 1 ½ Stunde gearbeitet hatte, brach meine Wunde wieder auf, so daß ärztliche Behandlung wieder von Nöten war. Behandlung wie Verpflegung ließ sehr zu wünschen übrig. Dem Arzte hatte man den nicht gerade schmeichelhaften Beinamen „Knochenmüller“ gegeben.
Am 11. 2. waren 6 Monate seit meiner Verwundung verflossen. Zwecks Erlangung von Krankenrente wird vom Lazarettarzt Dr. Zinsser-Giessen am 9. 2. ein ärztliches Zeugnis ausgestellt, am 12. 2. von mir auf dem Versicherungsamt Giessen (Bürgermeisteramt) abgegeben, welches den Antrag nach Darmstadt weiterleitet, welches ihn genehmigt.
Meine Wunde ist am 18. 2. noch offen, am 24. 2 jedoch merklich gebessert. Jedoch trage ich noch Schutzverband mit Zinksalbe. Am 4. 3. erhalte ich meinen letzten Verband und am 9. 3. erfolgt der endgültige Schlußbefund.
Am 18. 3. wurde ich zu meinem Ersatz-Batl. nach Döberitz bei Berlin entlassen, fuhr, nachdem ich in der Nacht zum 19. 3. im Elternhause zugebracht hatte, am 19. 3. nach dort. Vom 22. 3. - 4. 4. erhielt ich dann Erholungs-Urlaub. Komp. Feldwebel Klotz, eine besondere Nummer, führte die Genesungs-Komp. nicht mehr. Am 31. 3 und 1. 4. war Ostern.
Am 6. 4. schrieb mich Batl. Arzt Dr. Lipschütz, auch ein besonderer Mann, 2 Monate garnisonsverwendungsfähig, unter mechanischer Behandlung. Am 10. 4. begann dieselbe im Res. Lazarett Landwehr-Offiziers-Kasino am Bahnhof Zoologischer Garten in Charlottenburg, wohin wir täglich fuhren. Die Bahn hatte davon keinen großen Nutzen. Der die Aufsicht leitende Arzt war sehr anständig in der Behandlung der Verwundeten. Offiziere und Mannschaften gemeinsam benutzten die Apparate gleichzeitig. Sogar ein General glaubte sich ihrer bedienen zu müssen.
Am 17. 7. schrieb mich der Arzt von der medico-mechan. Anstalt nach 14wöchentlicher Behandlung, nach seiner Aussage ohne Erfolg verlaufen, arbeitsverwendungsfähig. Der Batl-Arzt 261 in Döberitz setzte dann die Dauer der Arbeitsverwendungsfähigkeit am 22. 7. auf 4 Monate fest.
Am 5. 8. erfolgte somit meine Versetzung in die 7. Komp., der Komp. der Kriegsunbrauchbaren und Arbeitsverwendungsfähigen. Die Tätigkeit bestand dann aus Allerlei. So hat man selbst Schafe gehütet.
Vom 16. - 29. 8. erhielt ich Heimaturlaub. Nachurlaubs-Gesuch wurde aus „dienstlichen Gründen“ abgelehnt.

Am 9. 11. brach die Revolution aus. Das Lager war bereits seit dem 6. 11. geschlossen. Nur die Proviantkolonnen konnten die Wachen passieren. Ein Appell der Kommandantur, der drohenden Gefahr der Revolution entgegen zu treten, fruchtete nicht mehr, und als die Urheber der Revolution, die Marinesoldaten, am Morgen des 9. 11. das Lager ohne Widerstand betraten, fühlten auch die 40000 Mann in denselben, daß ein wichtiger Abschnitt in ihrem Leben, der große Krieg, endlich sein Ende gefunden hatte.
Immerhin herrschte sofort Ordnung und ich konnte auf genehmigtes Urlaubs-Gesuch, am 13. 11. in Urlaub fahren. Wegen der nun eingetretenen Demobilmachung konnte man wegen Überlastung der Eisenbahn nicht mehr zurück, trotzdem mein Urlaub am 27. 11. abgelaufen war.
Am 1. 12. ging mir dann vom Ersatz-Batl. der Bescheid zu, daß ich dort ab 27. 11. als entlassen gelte. Meine endgültige Entlassung ging dann als zuständige Instanz durch das damalige Bezirks-Kommando in Wetzlar.
Meine militärische Laufbahn hatte somit ihr Ende, nachdem ich 3 Jahre und 7 Monate im Militär-Verhältnis gestanden hatte.
Ende"

Anhang:
Das von Albert Hofmann 1917 im Lazarett geschriebene Gedicht "Flandern"







































Gedicht von Albert Hofmann auf seinen am 26. September 1914
in Frankreich gefallenen Onkel Karl Schieferstein aus Krofdorf




































Gedicht von Albert Hofmann auf seinen am 15. Juni 1915
in einem Lazarettzug bei Oderberg verstorbenen
Onkel Wilhelm Schieferstein
aus Krofdorf













































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